Konkrete Poesie


von Max Bense


Man hat oft Gründe, zwischen einem (klassischen) konventionellen und einem (nichtklassischen) progressiven Literaturbegriff zu unterscheiden. Der konventionelle Literaturbegriff hält in der Entwicklung der Literatur das fest, was bleibende, durchlaufende, mehr oder weniger konstante Elemente und Merkmale sind; ist also an Überkommenem, an Traditionellem orientiert. Der progressive Literaturbegriff hingegen stellt die Auffassung heraus, daß es sinnvoll ist, den Begriff des Fortschritts auch auf die literarische Arbeit zu übertragen; er bezieht sich auf neu auftauchende Merkmale und Elemente und bezieht die Entdeckung und Erprobung von solchen in die literarische Tätigkeit ein. Natürlich sind die Differenzierungen nicht immer eindeutig und scharf durchzuführen. Wir beschränken uns hier darauf, hervorzuheben, daß im konventionellen Literaturbegriff die gesellschaftlich-kommunikative, im progressiven Literaturbegriff die intellektuell-experimentierende Funktion der Literatur stärker betont wird. In diesem Sinne berücksichtigt die gesellschaftlich-kommunikative Funktion der Literatur z.B. Probleme der "Unterhaltung", während die intellektuell-experimentierende an "Erkenntnis" interessiert ist. Selbstverständlich ist aber in beiden Fallen die "Mittelbarkeit ästhetischer Realität" das wesentliche.

Ernst Robert Curtius "Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter" demonstriert z.B. einen konventionellen Literaturbegriff. Die "Konkrete Poesie" der brasilianischen Gruppe der "noigandres" hingegen stellt ein Beispiel für den progressiven Literaturbegriff dar. "Daß die europäische Literatur eine 'Sinneinheit' ist" (p.22), wie Curtius herausstellt, gehört ebenso sehr dem konventionellen Literaturbegriff an wie "die 'zeitlose Gegenwart', die der Literatur wesensmäßig" eigne oder "daß die Literatur der Vergangenheit in der jeweiligen Gegenwart stets mitwirksam" (p.23) sein könnte. Dem gegenüber erscheint der progressive Literaturbegriff z.B. in der "Konkreten Poesie", einer Hauptgruppe der großen Kategorien moderner experimentierender Schreibweisen, wenn im "Führungsplan für konkrete Dichtung", verfaßt von Augusto de Campos, Décio Pignatari und Haroldo de Campos, davon ausgegangen wird, "daß der historische verszyklus (als formal rhythmische Einheit)abgeschlossen" sei. Ich darf hinzufügen, daß für die moderne abstrakte und exakte Ästhetik, für die die Natur der ästhetischen Realität nicht in einer besonderen (seinsthematischen) "Wesenheit", sondern in einer besonderen material strukturierten "Mitteilung" besteht, von ihrem zentralen Begriff der "Innovation" her immer wieder Zugang zum progressiven Literaturbegriff gewonnen werden kann.

Die stärkste Gruppe der "Konkreten Poesie" gibt es heute in Brasilien. Wichtige Namen sind Augusto de Campos, Haroldo de Campos, Décio Pignatari, Ronaldo Azeredo, José Lino Grünewald, Pedro Xisto, Mßrie da Silva Brito, L.C. Vinholes, Wladimir Dias Pino, Edgard Braga, Cassiano Ricardo und Affonso Avila, die alle mehr oder weniger eng zur Gruppe der "noigandres" in Sao Paulo gehören, aber auch in der Zeitschrift "INVENCAO" publizieren.

Was, um speziell von der "Konkreten Poesie" zu sprechen, den Ausdruck "konkret" angeht, so ist er zunächst, wie auch bei Hegel, durchaus als Gegensatz zum Ausdruck "abstrakt" zu verstehen. Das Konkrete ist das Nichtabstrakte. Alles Abstrakte hat etwas zur Voraussetzung, von dem gewisse Merkmale abstrahiert wurden. Alles Konkrete ist hingegen nur es selbst. Ein Wort, das konkret
verstanden werden soll, muß ganz und gar beim Wort genommen werden. Konkret geht jede Kunst vor, die ihr Material so gebraucht, wie es den materialen Funktionen entspricht, nicht aber wie es im Sinne von Übertragungsvorstellungen unter Umständen möglich wäre. In gewisser Hinsicht könnte also die "konkrete" Kunst auch als "materiale" Kunst aufgefaßt werden.

Der schon erwähnte "Führungsplan für konkrete Dichtung" der "noigandres", die übrigens engen Kontakt mit den europäischen Modifikationen in Deutschland (z. B. Heissenbüttel, Mon), in Österreich (z.B. Rühm, Achleitner), in der Schweiz (z.B. Gomringer), in Frankreich (z. B. Garnier) usw. halten, anerkennt die verbale, die vokale und die visuelle Materialität des Wortes und der Sprache. Es handelt sich aber nicht darum, einen üblichen sprachlichen Mitteilungsraum zu schaffen, der Bedeutungen konventionalisiert, indem er die verbale Funktion des Wortes ausnützt. Das Wort wird gewissermaßen manipuliert: verbal, vokal und visuell.

Der Mitteilungsraum ist, materialiter gesehen, dreidimensional. Das Wort hat einen verbalen, einen vokalen, einen visuellen Stellenwert, und zwar gleichzeitig. Das ist der Grund dafür, daß ein Wort, das zur Gestaltung eines Ensembles von Wörtern, zu einem "Text" verwendet werden soll, nicht gemäß seiner Rolle in einem möglichen Satz ausgesucht wird. Sätze sind nicht das Ziel konkreter Texte. Es handelt sich darum, Ensembles von Worten zu schaffen, die als Ganzes einen verbalen, vokalen und visuellen Mitteilungsraum, den dreidimensionalen Sprachkörper repräsentieren, und dieser dreidimensionale Sprachkörper ist der Träger einer spezifisch konkreten ästhetischen Botschaft. Die Berücksichtigung graphischer Stellenwerte ist für das Wort oder das Ensemble der Worte auf der Fläche ebenso evident wie die Ausnützung phonetischer Tatbestände an der Grenze der akustischen Phänomene beim Sprechen. Auch ist klar, daß in dem Maße wie das Wort nicht die Aussage materiale Grundlage des Textes ist, dieser von der linearen Verteilung, die für den konventionellen Mitteilungsraum der klassischen Poesie kennzeichnend ist, abgelöst wird, um dem flächigen Arrangement anheim zu fallen.

Nun bewegt sich in der neueren Texttheorie, die ein Bestandteil der abstrakten und exakten Ästhetik ist, die Untersuchung vor allem in drei Phasen: neben die topologische (dimensionale und "nachbarschaftliche") tritt die semiotische (zeichenmäßige) und statistische (häufigkeitsmäßige) Betrachtungsweise. Die Analyse des Materials, also der konkreten Elemente des Kunstwerks, hier der Texte konkreter Poesie, vollzieht sich topologisch, semiotisch und statistisch.

De Fixierung dessen, was "ästhetische Botschaft" genannt wird, setzt die topologische, die semiotische und statistische Kennzeichnung voraus.

Das flächige Arrangement der konkreten Poesie gehört zur topologischen Kennzeichnung ihrer Texte. Die Zwei- und Mehrdimensionalität der ästhetischen Mitteilung ist das texttopologische Problem dieser Art von Poesie. Alle Nachbarschaftsbeziehungen der Worte eines Ensembles gehen hier über die lineare Relation, wie sie syntaktisch oder grammatisch in einer üblichen satzmäßigen Aussage oder in einem klassischen Kontext oder sprachlichen Bild vorgeschrieben ist, hinaus. Nicht "Textketten", sondern "Textflächen" sind das Ziel.

Das kann durch die semiotische Analyse erhärtet werden. In der semiotischen Analyse setzt man die von Peirce entwickelte Zeichentheorie voraus. Gemäß dieser Zeichentheorie kann, wie bekannt ist, alles als Zeichen fungieren, was als Zeichen "interpretiert" wird. Als Zeichen kann interpretiert werden, was die Funktion eines Zeichens übernehmen kann. Eine "Zeichenfunktion" ist grundsätzlich "triadisch" zu verstehen, d. h. sie bezieht sich auf drei Etwase: auf das, was als "Zeichen" benutzt wird, also die materiale Zeichengestalt, auf das, wofür das Zeichen benutzt werden soll, also auf das zu bezeichnende "Objekt" und schließlich auf den, der das Zeichen benutzt oder für den es benutzt wird, also auf den "Interpretanten", wie Peirce ihn bezeichnet. Ein Zeichen Z ist also jeweils durch eine triadische Zeichenfunktion Zf definiert, die durch das Zeichen selbst, das Objekt und den Interpretanten konstituiert wird, d.h. Zf = f(Z,O,I). Ein Wort ist in diesem Sinne selbstverständlich, ein Zeichen, denn es kennzeichnet eine Funktion, die erstens es selbst, dann das Objekt, das es bezeichnet, und schließlich drittens den, der es in dieser Weise benutzt oder für den es benutzt wird, einkalkulieren muß. Peirce hat nun weiter gefunden, daß jede Klassifikation der Zeichen die triadische Funktion des Zeichens zu berücksichtigen hat, also im Hinblick auf das Zeichen selbst, im Hinblick auf das bezeichnete Objekt und im Hinblick auf den Interpretanten vorgenommen werden muß.

Die Klassifikation "konkreter" Texte im Hinblick auf das Objekt der triadischen Zeichenfunktion im Sinne von Peirce erscheint in mancherlei Beziehung als die wichtigste. Peirce unterscheidet bekanntlich Symbol, Icon und Index. In Bezug auf das Objekt ist das Zeichen bloßes Symbol, wenn es das Objekt nur namentlich bezeichnet; es ist jedoch Icon, wenn eine Übereinstimmungsbeziehung derart existiert, daß Zeichen und Objekt mindestens ein Merkmal gemeinsam haben, und schließlich fungiert das Zeichen relativ zum Objekt als Index, wenn es eine reale Beziehung zu ihm hat. Ein Wort für sich genommen ist also stets nur Symbol; eine bestimmte Wortart, die wie das Prädikat einen Stellenwert des Wortes im Satz schematisch zum Ausdruck bringt, ist wie jedes Schema ein Icon, aber ein Wort, das unmittelbar auf ein nachfolgendes oder vorangehendes verweist wie z. B. die copula "ist" stellt einen Index dar. Schon diese Klassifikation der Zeichen im Hinblick auf das Objekt der Zeichenfunktion bedeutet für die Worte innerhalb eines Textes "konkreter" Poesie, daß sie als solche, als selbständige eigenweltliche materiale Ereignisse, die primär nicht im Außerweltlichen Sinne objektbezogen sind, in einer objektbezogenen Klassifikation auch nicht als Symbole aufgefaßt werden können. Desgleichen entfällt damit auch der ikonische Objektbezug. Doch charakterisiert es die Texte der konkreten Poesie, daß jedes Wort im Ensemble, wenn auch nicht verbal, so doch visuell oder vokal auf die Worte der Umgebung verweist oder durch die grammatische Deformation (relativ zu seinem Auftreten im Wörterbuch), die es zeigt, seinen möglichen apophantischen Stellenwert angibt, also ausgesprochen indexikalisch verwendet wird. Die eigenweltliche materiale ästhetische Botschaft der Texte konkreter Poesie ist also primär indexikalischer Natur. Das entspricht übrigens der Tatsache, daß die gleichzeitig verbale, vokale und visuelle Materialität der Worte ihre volle reale, nicht etwa ihre ideale, also irreale oder mögliche Gegebenheit ausmacht und daß erkenntnismäßig jede eigenweltliche Realität primär nur indexikalisch erreichbar ist. Nur in Bezug auf diese indexikalische Eigenwelt der Texte konkreter Poesie können im Verlauf der semiotischen Textentwicklung Symbole oder Icone entstehen.

Ich möchte das am Beispiel eines Textes genauer erörtern, auf den mich Elisabeth Walther aufmerksam macht. Es ist der Text "vai e vem" ("er geht und er kommt") von José Lino Grünewald. Der konkrete Text lautet:

vai e vem
e          e
vem e vai
"vai" und "vem" haben den Zeichencharakter eines Index, sie sagen genau, daß es "er" ist, der geht und kommt. Auch "e", das als "und" gehen und kommen verknüpft, tritt als Index auf. Die visuelle quadratische Anordnung läßt es zu, das Ensemble der Indices von rechts noch links, von links nach rechts, von oben nach unten und von unten nach oben zu lesen. Auf diese Weise bringt die Textfläche das Schema des "Hin und Her", des "Auf und Ab" zum Ausdruck. Das Ensemble der Indices stellt also in seiner visuellen Gesamtheit ein Icon dar, das sowohl auf die Eigenwelt des Textes als Objekt wie auch auf einen Vorgang der Außenwelt zu beziehen ist.

Berücksichtigt man nun neben der objektbezogenen Klassifikation der Zeichen noch die zeichenbezogene Klassifikation, in der Peirce das Qualisign (Qualität, die ein Zeichen ist), das Sinsign (individuelles Objekt oder Ereignis, das ein Zeichen ist) und das Legisign (Gesetz oder genereller Typ, die als Zeichen auftreten) unterscheidet, so bemerkt man sofort, daß der Text José Lino Grünewalds genauer als indexikalisches Sinsign gekennzeichnet werden kann, das nur visuell oder vokal eine ikonische Gesamtheit darstellt. Diese Analyse läßt erkennen, in welchem Sinne und in welchem Umfang man der konkreten Poesie einen "semiotischen Realismus" zuordnen kann (in Unterscheidung von einem "semantischen Realismus", von dem Elisabeth Walther z. B. im Hinblick auf die Texte Francis Ponge's gesprochen hat). Offenbar verläuft der gesamte ästhetische Prozeß der konkreten Poesie, seinsthematisch betrachtet, in erster Linie semiotisch, als{o] auf der Stufe des Zeichen-Seins, nicht semantisch auf der Stufe von Aussagen, die einen Wahrheitswert besitzen oder ontisch auf der Stufe des Seins des Seienden, das gegeben ist. Dem entspricht die Subtilität oder das Raffinement der ästhetischen Botschaft, die mitgeteilt wird. Sie ist Gewissermaßen schwerer zu apperzipieren als die der klassischen, konventionellen Poesie. Nur in seltenen Fällen ist sie unmittelbar anschaulich erkennbar und von sinnlicher Qualität. Sie muß oft intellektuell, konstruktiv nachvollzogen werden. Es ist angebracht, von der Mikroästhetik der konkreten Poesie zu sprechen.

Ich möchte aber zum Vergleich noch zwei Beispiele nicht-konkreter Poesie heranziehen, die jedoch schon die Möglichkeiten des semiotischen Konstruktivismus erkennen lassen, das eine von Gertrude Stein

A rose is a rose is 0 rose is a rose
und das andere von Gottfried Benn, eine Stelle aus "Der Garten von Arles"
Drei Vasen voll Herz des Gartens schleiernd
den Herbst vor seine Stirn.
Der Text Gertrude Steins zerfällt in zwei Hälften, die durch ein "is" verknüpft werden; dieses "is" fungiert als Index, der aber logisch nicht als copula sondern als Identität aufzufassen ist.
A rose is a rose is a rose is a rose
Doch auch in jeder der beiden Hälften bedeutet das "is" als Index keine copula sondern eine Identitätsbeziehung; "a rose" ist dabei in jedem Falle ein Symbol "a rose is a rose" als Ganzes jedoch ein Icon, das das Schema der Identität enthüllt. Das Modell der semiotischen Konstruktion des Textes sieht demnach wie folgt aus
Symbol Index Symbol Index Symbol Index Symbol
            Icon               Index             Icon
                                  Icon
Der Text von Gottfried Benn zerfällt leicht in drei Icone
Drei Vasen voll
Herz des Gartens
schleiernd den Herbst vor seine Stirn
die als Ganzes wieder ein lcon darstellen. In dieser Analyse ist die Zeichenfunktion natürlich nur im Hinblick auf das Objekt entwickelt. Auf den Interpretanten bezogen, stellen im Text Gertrude Steins die beiden Hälften jeweils ein Dicent dar, wie Peirce "Zeichen, die der Behauptung fähig sind" nennt und innerhalb des Dicent fungieren die beiden Glieder "a rose" sowie auch das "is" als Rhema, d. h. als Zeichen, die wie jedes einzelne Wort weder wahr noch falsch sind. Der Text Gottfried Benns hingegen, der in der objektbezogenen Zeichenfunktion ein Icon ist, stellt bezüglich eines Interpretanten, auch der Dichter ist ein Interpretant, ein sogenanntes Argument dar, nach Peirce ein Zeichen, das so funktioniert, "als ob es ein Zeichen dieses Interpretanten... ware" (was z.B. auch der Auffassung des "Ortes" des "lyrischen Ichs", die von Käte Hamburger entwickelt wurde, entspricht).

Die statistische Betrachtung der Texte, die, bezieht sie sich wie üblich auf das bloße Wort in der konkreten Poesie, leicht ein relativ geringes Vokabular und eine relativ hohe Frequenz ein und desselben Wortes in den Texten der Autoren entdecken kann, wird nur dann ihre bekannte Ausgangsdefinitian, danach ein Text eine gegliederte Elementenmenge darstellt, beibehalten können, wenn sie nicht einfach die Worte als Elemente auffaßt und ihre Silbenzahlen als Merkmalswerte einführt, sondern von vornherein numerische Merkmale auch für den Stellungswert der Worte auf der Textfläche (etwa mit Hilfe eines Rasters, der den Ort eines Wortes fixiert) einführt. Natürlich kompliziert sich auf diese Weise die Berechnung statistischer "Stilcharakteristiken", doch gewinnen sie auch an Eindeutigkeit. Man erkennt, daß die scheinbar verbale Eintönigkeit oder Gleichförmigkeit der Texte der konkreten Poesie in Wirklichkeit höchst verwickelt ist. Die Worte werden nicht einfach als verbale Elemente benutzt sondern als Elemente bestimmter Zeichenklassen. In der klassischen Poesie entwickelt sich der ästhetische Prozeß als Sinngestaltung der Worte. In der konkreten Poesie bedeutet der ästhetische Prozeß tatsächlich einen materialen Zeichenprozeß, der im Prinzip alle Zeichenklassen durchlaufen kann, um schließlich eine einzige zu verwirklichen. Seit von Ehrenfels sind zwei ästhetische Prozesse bekannt, der der "Gestaltung" (Superzeichenbildung) und der der "Reinheit" (Ordnungsgrad). In der konkreten Poesie liegt der eigentümliche Fall einer "Gestaltung" vor, die mit dem zunehmenden Grad der "Komplexität" (Moles) auch an "Reinheit" gewinnt. Der Zeichenprozeß, der sich in der Gestaltung der Texte konkreter Poesie abspielt, erweist sich in der Statistischen Analyse als ein Vorgang, der den Text nicht als gegliederte Elementenmenge (Fucks) entwirft, sondern als gegliederte Zeichenmenge, als ein Vorgang, der den ästhetischen Zusammenhang der Zeichenklassen erkennbar werden läßt.

Konkrete Poesie ist nur in geringem Ausmaß intuitiv möglich. Ihr schöpferisches Prinzip der ästhetischen Enthüllung der Zeichenthematik der Worte ist ein methodisches.

Konkrete Poesie ist also bewußte Poesie, die ihre ästhetische Realität ganz und gar in einer Sprache aus Zeichen, deren Klassen sie kombiniert, mitteilt und diese Zeichen sind zwar Worte, aber das Wort erscheint nicht als konventioneller Bedeutungsträger, sondern muß strikt als konstruktiver Zeichenträger aufgefaßt werden.

Literatur
Augusto de Campos, Haraldo de Campos, Décio Pignatari: Führungsplan für konkrete Dichtung, nota 2, 1959;
Max Bense: Theorie der Texte, 1962;
von Ehrenfeis: Kosmogonie, 1917;
Abraham A. Moles: Théorie de l'Information et Perceptian aesthetique, 1958;
H. Heißenbüttel: Konkrete Poesie, in: "noigandres konkrete texte", rot 7, 1962;
Elisabeth Walther: Die Begründung der Zeichentheorie bei Charles Peirce. GrKG, Bd. 3, Heft 2, 1962.
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manuskripte. Zeitschrift für Literatur, Kunst, Kritik, 11, Juni/September 1965. Eine erweiterte Fssg des Essays erschien im Sonderheft "Texttheorie und Konkrete Dichtung" der Zeitschrift "Sprache im technischen Zeitalter" 15/1965.