Helmut Heißenbüttel | Porträt G.C. Kirchberger


Kurze Erklärung voraus

Da es offentar wieder Mode wird, Porträts zu malen, liegt es nahe, ein Porträt nicht nur zu malen, sondern zu schreiben. Beispiele dafür hat es schon gegeben. Allerding hat es, soweit bekannt, bisher noch niemand unternommen, G.C. Kirchberger zu porträtieren. Es scheint jedoch an der Zeit, dies zu tun. Wenn das Porträt subjektiv ausfällt, liegt das an Porträtisten, nicht am Porträtierten Dieser ist zweifellos eine in sich ruhende objektive Persönlichkeit.

Zur Person

Kirchberger hat eine spitze Nase, wohnt in einer Altbauwohnung mit hohen Zimmern und hält nach wie vor Yves Klein für einen genialen Maler. Kirchberger hat einen Beruf, er bringt unmündigen Kindern das Zeichnen und die englische Sprache bei. Er hat wie seine Schüler Ferien, in denen er verreist oder malt. Er malt aber auch sonst. Einen Beruf hat er nur, damit er malen kann. Eigentlich müßte man das Malen als seinen Hauptberuf bezeichnen. Allerdings ist bis heute die Frage nicht gelöst, ob Malen ein Beruf oder eine Tätigkeit ist. Die Tätigkeit als solche wäre, ganz von außen gesehen durch zwei (nur scheinbar im Widerspruch zueinander stehende) Selbstäußerungen zu charakterisieren. Kirchberger beteuert gern, daß er kein fleißiger Mensch ist. Er würde ebenso gern jeden Tag ein neues Bild malen.

Kirchberger spricht langsam, sein Atelier befindet sich in einer Art ad absurdum geführten Salons und manchmal packt ihn ganz einfach die Wut. Es soll hier keine Legende gesponnen werden. Wir stellen schlicht fest, daß seine Vorgeschichte sich im Dämmerlicht der Stuttgarter Akademie verliert. Sein Anzug ist bürgerlich, seine Gewohnheiten auch. Er hat nicht wie (der Sage nach) andere Maler die Angewohnheit, fremde Menschen ins Bein zu beißen Er verteilt keine Flugschriften, gebiert keine Linien, verbirgt keine Spiralen, und es ist nicht bekannt, daß er je die Absicht geäußert hätte, er wolle das Gebäude der Unesco mit Gewalt erobern.

Der Maler

Kirchberger malt. Er malt Bilder. Nur nebenbei, gleichsam zum Spaß, bemalt er etwa auch eine Kuckucksuhr.

Auf der einen Seite steht also der Mensch Kirchberger, auf der anderen Seite stehen die von diesem Menschen gemalten Bilder. Vom einen zum andern gibt es zwei Verbindungen, zwei Leitungen sozusagen: den Blick und die Hand. Was die Hand tut, hinterläßt Spuren auf der Leinwand oder auf dem Papier. Kirchberger schließt aber nicht (wie man bei einigen seiner Kollegen anzunehmen geneigt sein könnte) die Augen, während er seine Hand in Tätigkeit bringt. Schaut er ihr zu oder versucht er vermittels jener geheimnisvollen Telefonanlage (neuerdings auch als natürliche kybernetische Maschine bekannt), die malende Hand zu dirigieren? Zweifellos sieht er, was die malende Hand hervorbringt. Es ist sogar anzunehmen, daß er gewisse Dinge etwas früher sieht (wie lange früher, ist nicht festzustellen.) Manchmal läßt er wohl auch der Hand ein wenig ihren freien Willen. Das zuschauende Auge wird dann überrascht. Wird es wirklich überrascht?

Geschichte von den Bildern

Dies alles ist, zugegebenermaßen, noch etwas allgemein. Man muß präzisieren. Auch dies eine allerseits anerkannte Forderung. Wenn man Kirchbergers Bilder aus den letzten Jahren sieht, erkennt man, daß sie an einer bestimmten Stelle eine Zäsur aufweisen. Es ist am einfachsten, von dieser Zäsur aus rückwärts und vorwärts zu gehen.

Rückwärts: Die Bilder werden von Farbkomplexen erfüllt, die in allgemeinen nicht bis an die Ränder reichen, sondern etwa vom Malgrund sichtbar lassen. Die Farbe füllt das Format nicht aus wie Wasser einen Topf, sondern bewegt sich nach eigenen Gesetzen darüber hinweg. Ihr Gleichgewicht und ihre Spannung erhält sie allerdings immer noch vom Rand her. Die Gesetze ergeben sich aus einer engmaschigen, bewegten Chromatik, einer mit kleinen Schritten arbeitenden Vielfarbigkeit. Farbig eindeutig bezeichnete Partien wel seIn mit diffusen palettenartige und verwischte Teile treten zueinander in Spannung. Die Farbigkeit geht nicht von Grundfarben, sondern vom Farbspektrum aus. (Kirchberger hat einmal bekannt, daß ihn die Gelbweiß-Chromatik Turners sehr beeindruckt habe. Das kann erläuternd aufgefaßt werden. Allerdings kam es Kirchberger bei diesen Bildern nicht auf Atmosphäre, sondern auf Farbteilungen an.) Das Problem seiner Darstellung lautete etwa: was zeigt sich, wenn ich die Aufspaltung der Farbchromatik bis zum Äußersten treibe. Er faßte diese Aufgabe (wie auch andere) nicht mit Systematik an, sondern mit Vehemenz.

Vorwarts: Es ist zunächst zu beobachten, daß von der Seite her etwas Neues ins Bild tritt und die chromatischen Farbmassen zurückdrängt. Dieses Neue erscheint farbig undifferenziert und schiebt einen weißen Kanal mit unregelmäßigen Rändern vor sich her. Die Chromatik des zurückgedrängten Komplexes stumpft ab, flacht ab in einen dominierenden Kontrastton. Der Vorgang geht weiter. Es entstehen balkenförmige senkrechte Formationen. Die Gegenelemente ziehen sich in sich zurück, gerinnen gleichsam zu einfarbigen Feldern auf dem weißen Grund. Die Kontraste liegen zwischen Schwarz-Rot, Schwarz-Grün, Schwarz-Braun. Die Balkenelemente sind gewöhnlich schwarz. Etwas von dem, was früher die freie Bewegung der Farbteilungen bestimmte, erscheint in den Kontrastfeldern als spontan hingesehriebener Pinselstrich. Die Kontrastfelder sind auch wie etwas, das sich in Bild aufrichtet, aufbläht. Dies Aufstehen und Aufblähen wird betont durch statisch ungleichgewichtige Streben. Es kann auch geschehen, daß die Balkenelemente über das Kontrastfeld hinwegwandern und es einklemmen.

All diese Wörter sind natürlich ebenso irreführend wie bezeichnend. Es kommt auch nur auf zweierlei an, einmal darauf, die im Bild sichtbaren Dinge zueinander zu bringen, und einmal darauf, zu sagen, daß es sich dabei nicht um Figuren oder symbolische Zeichen handelt. Das Bild ist vielmehr so etwas wie ein Kampffeld. Die farbig bezeichneten Zonen treten gleichsam selbstherrlich gegeneinander auf und gehen gegeneinander vor. Ihre Ausdehnung, ihre Abgrenzung und ihre Intensität gewinnen sie nicht von den Rändern her, sondern aus sich selbst, gleichgültig, was das bedeutet. Die Fläche wird nicht harmonisiert, sie zeigt eher so etwas wie Ballungen und Ausbrüche eines Kraftfeldes, dem gegenüber die Bildbegrenzungen beiläufig erscheinen.

Was man von Bildern sagen kann

Es ist von den Bildern so etwas wie eine Geschichte erzählt worden. Eine Geschichte mit quasi abstraktem Inventar. Kann man etwas anderes tun als das, was auf den Bildern zu sehen ist, in eine Geschichte zu verwandeln? Ist das nicht schon immer getan worden? oder umgekehrt, Geschichten wurden in Bilder verwandelt (darauf wieder die Bilder in Geschichten)? Man könnte sagen, was die Bilder (und die Geschichte) bedeuten. Auch das hat man getan. Man nannte es Interpretation. Man tut es auch heute noch. Aber sind wir nicht im Grunde zu unsicher im Vokabular? Fehlt uns nicht einfach die Eindeutigkeit der Benennungen? Kommt nicht die Eindeutigkeit der Namen aus der Gewohnheit, mit der wir sie gebrauchen? Wir können zwar sagen, dies soll ein Haus sein oder ein Baum oder ein Gesicht; aber können wir ebenso sagen, dies ist ein für allemal ein Balken, ein Kontrastfeld, ein chromatischer Komplex usw.? Die Ikonographie der neuen Malerei besteht erst aus vagen Rudimenten, die ganze Sache ist offen. Aber gerade das macht ihren Reiz aus und ihre Faszination.

Vielleicht müßte man in Parallelitäten reden, wenn man nichts anderes hat, und das Vokabular von ganz woanders her nehmen, etwa aus der Philosophie oder der Psychologie oder der Literatur oder der Soziologie usw. Auch dies Verfahren scheint fragwürdig. Die Parallelitäten selbst sind fragwürdig.

Was sich sagen läßt ist, daß wirklich etwas dargestellt wird. Wenn man eine Geschichte von den Bildern erzählt (und nicht erklärt, was die Geschichte bedeutet), hat man einen Vorteil. Man kann darauf hinweisen, daß das, was erzählt werden kann, etwas Objektives ist, ein Thema oder wie immer man es nennen mag.

Und noch etwas wird deutlich. Wenn man die Geschichte verfolgt, sieht man, daß es nicht bloß auf die Handfertigkeit, die Peinture oder die Ästhetik ankommt, sondern darauf, daß der Maler etwa zu zeigen hat. Das aber hängt mehr mit dem Menschen selbst zusammen als mit der bloßen handwerklichen, malerischen, manuellen, geschmacklichen usw. Fähigkeit. Der Maler muß die Gewißheit haben, daß etwas Zeigbares auf der Bildfläche erscheinen kann. Weder Vorbilder noch der Zufall, noch Peinture helfen ihm dazu. Auch Malen ist eine Art von Erkenntnis. Und Kirchberger zeigt deutlich etwas.

Schlußpräambel

Bleibt schließlich die berühmte Frage nach der Qualität. Kunstkritiker haben allmählich eine Art Sport daraus gemacht, auf gute oder schlechte Bilder zu tippen. Woher sie das wissen? Sie wissen es gar nicht. Sie setzen einfach auf Rot oder Schwarz oder Gerade oder Ungerade oder Zero. Auf Zero in letzter Zeit besonders gern.

Ein Bild ist so gut, könnte man stattdessen sagen, wie der Maler das, was er zeigt, deutlich zu zeigen vermag. Das übrige müssen die Beschauer mit den Bildern unter sich ausmachen. Kein Kunstkritiker, kein Renommé und kein Verkaufswert kann ihnen dabei helfen. Und im Vertrauen: es gibt berühmte Meisterwerke, die gar nicht gut sind.

[Druck in Katalog G C Kirchberger. Stuttgart: Galerie Müller 1961]